Interview mit Alpaslan Agüzüm

Der Weltergewichtler Agüzüm hat eine schwere Bürde zu tragen. Sein Ex-Trainer Ulli Wegner, der auch die Super Mittelgewichtsweltmeister Sven Ottke und Markus Beyer betreut, lässt keine Gelegenheit aus, ihn zu loben. Wegner sagt von ihm, er sei das größte Talent, das er jemals gesehen habe. Im Vorprogramm von Sven Ottkes Kampf gegen Armand Krajnc am 27. März in Magdeburg/Deutschland boxt Alpaslan gegen den Argentinier Carlos Manuel Baldomir. Die erste Begegnung der beiden gewann Baldomir am 16.12.2000 durch TKO in Runde 1. Jetzt kommt es also zu dem von Alpaslan lange herbeigewünschten Rückkampf um den WBC International Titel. Alpaslan sprach mit UWE BETKER im Gym von Sauerland Event in Köln.

Der jetzt anstehende Kampf gegen Carlos Manuel Baldomir ist ein Rückkampf. In der ersten Begegnung [Dezember 16, 2000] verloren Sie durch TKO in Runde eins. Was ist in diesem Kampf passiert?
Ich bin einfach in einen Schlag hineingelaufen, mit dem ich nicht gerechnet habe. Das ist passiert.

Was zeichnet Baldomir als Boxer aus?
Er ist sehr schlau und sehr angebrüht. Er ist wirklich mit allen Wassern gewaschen. Er weiß sich seinen Sieg zu verdienen, indem er immer nur das macht, was gerade nötig ist für einen Sieg. Daher unterschätzt man ihn auch sehr leicht. Manchmal erweckt er den Eindruck, gar nicht so stark zu sein. Gerade bei Kämpfen gegen Gegner, die selbst nicht so stark sind, zeigt er nicht sein ganzes Können. Er macht gerade so viel, dass es für den Sieg reicht. Wenn er aber will, und wenn er muss, kann er das Zehnfache zulegen. Das zeichnet ihn als Boxer aus. Er will, möglichst ohne selber Treffer nehmen zu müssen, aus dem Kampf herauskommen. Er hat jeden Trick drauf.

Was wollen Sie diesmal anders machen?
Ich bin psychisch, taktisch, körperlich und was die Erfahrung angeht ein anderer. Ich bin sehr-sehr gewachsen. Das kann man auch an meinen letzten Kämpfen sehen. Mittlerweile bin ich in der Lage, in der Weltspitze mitzuhalten.

Was unterscheidet denn genau den Alpaslan Agüzüm von Ende 2000 von dem Alpaslan Agüzüm von Anfang 2004?
Sagen wir mal so: Früher war ich oft nicht 100% bei der Sache. Früher habe ich just for fun geboxt. Dabei habe ich nur 50 bis 60%, allerhöchstens 70% gegeben. Heute gebe ich wirklich 100% - immer. Deshalb bin ich auch nach dem Training immer so erschöpft. Bei der Vorbereitung auf einen Kampf habe ich zu nichts mehr Lust, einfach weil ich so kaputt bin. Bei jedem Training verausgabe ich mich. Bei jedem Training gebe ich alles. Ich investiere 24 Stunden des Tages in Boxen. Ich ordne alles dem Boxen unter, damit ich mir den Sieg auch wirklich verdiene.

Mit welcher Strategie wollen Sie gegen Baldomir boxen?
Das möchte ich hier eigentlich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist: Ich werde alles bringen, was nötig ist, ihn zu schlagen.

Welchen Ausgang erwarten Sie oder sagen Sie voraus?
Gegen ihn zu boxen, ist für mich sehr wichtig. Ich werde auf jeden Fall gewinnen, und dieser Sieg wird mir sehr gut tun. Natürlich wird die Narbe der Niederlage dadurch nicht verschwinden, aber sie wird nicht mehr so schmerzen. Gleichzeitig kann ich allen zeigen, dass ich in der Lage bin, mit wirklich allen in meiner Gewichtsklasse, auch mit den Superstars, mitzuhalten. Baldomir ist nicht umsonst an Nummer drei der Weltrangliste [der WBA und Nummer vier der WBC], und an so eine Position kommt man nicht so einfach. Nach dem Kampf werden alle sehen: Dort in Deutschland gibt es noch einen.

Erwarten Sie einen KO Sieg?
Einen KO erwarte ich eigentlich nicht. Baldomir ist so abgebrüht, dass er vielen Schlägen aus dem Weg geht. Er hat ein Kämpferherz! Man sieht das sehr deutlich an seinem Kampf gegen Dingaan Thobela [1998-10-28]. Der Kampf wurde als unentschieden in Südafrika gewertet, aber eigentlich hat er ihn gewonnen. In diesem Kampf zeigte Baldomir so viel Kämpferherz. Deswegen glaube ich nicht, dass ich vorzeitig gewinnen kann. Aber eigentlich ist mir das auch egal. Was zählt, ist der Sieg. Ob ich nach Punkten oder durch KO gewinne, ist egal. Ich werde gewinnen. Dafür muss ich 100% fit sein. Wenn ich 100% fit bin, kann ich bei den Superstars mitmischen; dann kann ich jeden schlagen.

Welche Bedeutung hat dieser Kampf im jetzigen Stadium Ihrer Karriere?
Nach diesem Kampf werden sich Türen für mich öffnen. Nach diesem Kampf könnte ich gegen Cory Spinks, José Antonio Rivera oder Ricardo Mayorga boxen. Ich werde durch diesen Kampf in der Rangliste ganz nach vorne kommen. Aber natürlich muss ich vorher Baldomir aus dem Weg räumen, und das ist nicht so einfach.

Sie müssen mit einer ziemlich großen Bürde leben. Ihr Trainer Ulli Wegner [Trainer von Sven Ottke und Markus Beyer] lobt sie immer als eines der größten Boxtalente der Welt. Wie beurteilen Sie sich selber?
Natürlich freut es einen, wenn man so etwas hört, und es motiviert einen sehr, zumal wenn so etwas gesagt wird von einem Mann wie meinem Trainer - einem Trainer, der seit Jahren erfolgreich ist und natürlich auch schon viele Talente gesehen und mit vielen gearbeitet hat, die auch sehr erfolgreich waren. Wenn dann solch ein Trainer so etwas über einen sagt, motiviert das natürlich sehr, und man freut sich. Auf der anderen Seite: Talent muss auch trainiert werden. Das sieht man an mir. Man sieht es daran, wie ich früher und wie ich jetzt bin. Ich bin dieselbe Person, nur früher habe ich mein Talent nicht genutzt. Früher habe ich nur, also wirklich nur, von meinem Talent gelebt. Heute kommt noch harte Arbeit hinzu, und man sieht jetzt langsam die Resultate. Talent muss trainiert werden!

Wie geht man mit einem solchen Erfolgs- und Erwartungsdruck um?
Das ist sicherlich so, dass Druck da ist. Das hat zur Folge, dass mein Trainer in der Sparrings- oder in der Trainingsphase nie ganz zufrieden ist. Ich bin mal gespannt, ob er jemals zu mir sagen wird: Das war perfekt. Er hat immer irgend etwas zu meckern. Manchmal sage ich mir: Mein Gott, jetzt muss doch endlich mal Schluss sein. Jetzt muss er doch endlich mal zufrieden sein. Das ist der Druck. Ich kann einfach nie gut genug sein für ihn. Das macht er ja nicht, weil er mich nicht leiden kann. Ganz im Gegenteil, er macht das, weil er mich so gut leiden kann. Das Publikum, die Menschen, die mir zuschauen, erwartet genau dasselbe von mir. Wenn ich eine Leistung bringe, die nur grade für einen Sieg reicht, ist das dem Publikum nicht genug. Bei einem anderen würden Sie da vielleicht noch klatschen. Bei mir nicht. Bei mir erwarten sie mehr.

Wo sehen Sie sich selber im Weltergewicht?
Ich bin jetzt unter den Top Ten. Unter den Top Ten im Weltergewicht zu sein, ist schon eine Leistung. Das ist eine Gewichtsklasse, die schon immer stark besetzt war. Viele große Boxer haben schon im Weltergewicht verloren. Einige sind dann im Gewicht hochgegangen wie Sugar Shane Mosley oder Oskar De La Hoya. Alle haben schon mal im Weltergewicht verloren. Natürlich ist es nicht einfach, in diesem Gewicht mitzuspielen. Aber ich gebe mein Bestes.

Was sind Ihre Stärken und Schwächen als Boxer?
Meine Stärke ist, dass ich alles kann: Beinarbeit, Reflexe, Variabilität, Schnelligkeit und Punch, den ich deutlich verbessert habe in der letzten Zeit. Ich kann einfach vieles bringen, womit ich mich auf jeden Gegner so einstellen kann, dass ich ihn besiegen kann. Das ist meine Stärke. Meine Schwäche ist, dass ich manchmal zu viele Risiken eingehe. Mir reicht es nicht, als Sieger vor den Zuschauern zu stehen. Wenn sich jemand meinen Kampf ansieht, dann soll er auch begeistert sein. Das kann schon mal eine Schwäche sein, weil ich dadurch mehr Risiken eingehe als nötig. Ich pokere hoch, aber das ist es mir auch wert. Daher muss mich mein Trainer auch immer bremsen. Immer – jedes Mal, sowohl im Training als auch im Kampf. Er muss mich bremsen. Ich möchte, dass die Zuschauer, die meine Kämpfe sehen, mich sehr-sehr mögen.

Wenn Sie sich einen Gegner aussuchen könnten, mit wem würden Sie gerne Ihre Kräfte messen?
Es ist natürlich schade, dass die ganz bekannten Namen wie Oscar De La Hoya und Shane Mosley eine Gewichtsklasse höher gegangen sind. Aber im Weltergewicht gibt es so viele gute Boxer, die vielleicht sogar sehr viel besser sind als die, die hoch gegangen sind. Im Boxen spricht man immer von den Top Ten in jeder Gewichtsklasse. Aber im Weltergewicht gibt es die Top Dreißig. Ich will die Weltmeisterschaft. Es wäre ein Traum für mich, wenn ich jetzt gegen Spinks oder Rivera boxen könnte. Ich rechne mir gegen beide eine gute Chance aus.

Was Sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Alle Wünsche und alle Ziele sind eine Weltmeisterschaft. Es dauert nicht mehr lange. Es braucht nur noch ein paar kleine Schritte. Nur, die Luft wird immer dünner. Daher muss ich mich um das 10fache oder das 100fache anstrengen. Aber ich gebe immer mein Bestes. Das Talent habe ich von Natur aus. Daher werde ich Weltmeister.

© UWE BETKER